Obergericht des Kantons Zürich

Geschäfts-Nr. VU060028/U

KREISSCHREIBEN

der Verwaltungskommission des Obergerichts an die Kammern des Obergerichts, das Handelsgericht, das Geschworenengericht, die Bezirksgerichte und die Friedensrichterämter über die Mehrwertsteuer vom 17. Mai 2006

Mit Beschluss vom 19. Juli 2005 erkannte das Kassationsgericht des Kantons Zürich, dass eine selber mehrwertsteuerpflichtige Partei die ihrem Anwalt auf sein Honorar bezahlte Mehrwertsteuer von ihrer eigenen Mehrwertsteuerabrechnung als Vorsteuer in Abzug bringen kann. Diese Partei erleidet deshalb durch die Mehrwertsteuer keinen (zusätzlichen) Schaden. Entsprechend ist einer obsiegenden selber mehrwertsteuerpflichtigen Partei kein Mehrwertsteuerzuschlag zur Prozessentschädigung zuzusprechen; es sei denn, diese Partei mache geltend und weise nach, dass sie nicht im vollen Umfange zum Abzug der Vorsteuer berechtigt ist. (ZR 104 (2005) Nr. 76) Aufgrund dieser Rechtsprechung ist das bisherige Kreisschreiben anzupassen und der Einfachheit halber neu zu fassen.

1. Keine Mehrwertsteuerpflicht der Gerichte

Die Gerichte üben hoheitliche Tätigkeiten aus und sind weder steuerpflichtig noch vorsteuerabzugsberechtigt. Die Gerichte haben im Zusammenhang mit der Festsetzung und Auferlegung ihrer Gebühren und zusätzlicher Kosten keine Mehrwertsteuer zu berechnen und auszuweisen. Hatte das Gericht in einem Verfahren Auslagen, die ihrerseits mit Mehrwertsteuer belastet waren (Kosten für Sachverständigengutachten, Übersetzer, amtliche Verteidiger, unentgeltliche Rechtsbeistände), und kann es diese Auslagen auf Verfahrensbeteiligte überwälzen, so soll die Überwälzung mitsamt der Mehrwertsteuer erfolgen.

2. Mehrwertsteuerobjekt Dienstleistungen (Anwältinnen und Anwälte)

Die Dienstleistungen der Anwältinnen und Anwälte unterliegen seit dem 1. Januar 1995 grundsätzlich der Mehrwertsteuer. Sie haben auf ihre Umsätze grundsätzlich Mehrwertsteuer zu bezahlen. Seit dem 1. Januar 2001 beträgt diese Steuer 7.6%. Alle Gerichte sollten sich bezüglich der Mehrwertsteuer gegenüber den Anwältinnen und Anwälten gleich verhalten, damit diese ihre Rechnungsstellung und ihre Prozessführung darauf ein- und ausrichten können. Die Mehrwertsteuer auf den Dienstleistungen der Anwältinnen und Anwälte ist insbesondere in zwei Bereichen zu berücksichtigen:

2.1. Prozessentschädigungen

2.1.1 Materiell

Die Prozessentschädigung soll der berechtigten Prozesspartei die Kosten und Umtriebe ganz oder teilweise vergüten, welche ihr durch das gerichtliche Verfahren entstanden sind. Diese Kosten bestehen bei anwaltlicher Vertretung im Wesentlichen im Anwaltshonorar. Die Anwältinnen und Anwälte überwälzen die von ihnen zu bezahlende Mehrwertsteuer mit den Honorarrechnungen auf ihre Klienten. Die durch die Prozessentschädigung zu ersetzenden Kosten durch das gerichtliche Verfahren wurden somit durch die Einführung der Mehrwertsteuer um diese höher, soweit der Klient seinem Anwalt oder seiner Anwältin ein um die Mehrwertsteuer erhöhtes Honorar bezahlen muss und diese bezahlte Mehrwertsteuer nicht als Vorsteuer von seiner eigenen allfälligen Mehrwertsteuerschuld in Abzug bringen kann. In Prozessen vor den Zivil- und Strafgerichten richten sich die Prozessentschädigungen nach der Verordnung des Obergerichts über die Anwaltsgebühren (AnwGebV). Diese berücksichtigt die Mehrwertsteuer nicht. Es fragt sich deshalb, ob die nach der AnwGebV berechnete Prozessentschädigung um die Mehrwertsteuer zu erhöhen ist, um die Erhöhung der Kosten aufgrund der Mehrwertsteuer auszugleichen. Ob eine Partei durch die Mehrwertsteuer höhere Kosten zu tragen hat, hängt von verschiedenen Umständen ab. In der Regel wird eine Partei ihrer Anwältin oder ihrem Anwalt auf ihr oder sein Honorar Mehrwertsteuer zu bezahlen haben. Eine Anwältin oder ein Anwalt, die/der selber nicht mehrwertsteuerpflichtig ist, überwälzt aber dem Klienten keine Mehrwertsteuer. Hat der Klient seinen Wohn- oder Geschäftssitz im Ausland, muss seine Anwältin oder sein Anwalt für die für ihn erbrachte Leistung in der Schweiz keine Mehrwertsteuer abliefern und überwälzt keine solche. Ist der Klient selber mehrwertsteuerpflichtig, kann er grundsätzlich die seiner Anwältin oder seinem Anwalt auf dessen Honorar bezahlte Mehrwertsteuer als Vorsteuer von seiner eigenen Mehrwertsteuerschuld abziehen und ihm erwachsen deshalb ebenfalls keine zusätzlichen Kosten durch die Mehrwertsteuer. Bei gewissen Sachverhalten ist aber der selber mehrwertsteuerpflichtige Klient für die anwaltliche Leistung nicht vorsteuerabzugsberechtigt und ihm erwachsen deshalb doch zusätzliche Kosten.

Eine generelle, auf alle Fälle von Prozessentschädigungen von vornherein zutreffende Lösung gibt es deshalb nicht. Wie bei übrigen Ersatzforderungen hat deshalb die Partei, welche zur nach AnwGebV berechneten Prozessentschädigung zusätzliche Kosten durch die Mehrwertsteuer ersetzt haben möchte ("Mehrwertsteuerzusatz"), dies zu beantragen und im Bestreitungsfall die behaupteten Kosten (d.h. die auf das Anwaltshonorar geleistete bzw. zu leistende und nicht vorsteuerabzugsberechtigte Mehrwertsteuer) nachzuweisen.

Dabei soll seitens der Gerichte Folgendes berücksichtigt werden:

2.1.2 Formell

Zur Vermeidung von Missverständnissen bei der Vorsteuerabzugsberechtigung soll im Dispositiv kein Hinweis auf einen "Mehrwertsteuerzusatz" oder eine Berücksichtigung der Mehrwertsteuer angebracht werden. Wird ein "Mehrwertsteuerzusatz" vorgenommen (oder ein Antrag darauf abgewiesen), ist dies in den Erwägungen zu den Entschädigungsfolgen zu vermerken.

2.2 Bemessung von Entschädigungen an unentgeltliche Rechtsbeistände und amtliche Verteidiger

2.2.1 Materiell

Unentgeltliche Rechtsbeistände und amtliche Verteidiger müssen für ihre Entschädigung Mehrwertsteuer bezahlen und haben deshalb Anspruch auf einen Mehrwertsteuerzuschlag zur sonst üblichen Entschädigung im Umfang des für anwaltliche Dienstleistungen geltenden Mehrwertsteuersatzes (zur Zeit 7.6%). Die Abrechnungsmethode der Anwältin oder des Anwalts gegenüber der Mehrwertsteuerbehörde ("normale" Methode, Saldo- oder Pauschalsteuersatz) ist dabei ohne Einfluss und nicht zu berücksichtigen.

2.2.2 Formell

Die Anwältin oder der Anwalt benötigt in solchen Fällen einen Beleg für die Abrechnung gegenüber der Steuerbehörde. Diesen kann ihr oder ihm nur das Gericht verschaffen. Deshalb soll das Gericht der Anwältin oder dem Anwalt eine Entschädigung für sein Honorar und seine Barauslagen und allfälligen sonstigen Auslagen zusprechen, zum entsprechenden Zwischentotal 7.6% hinzurechnen und danach ein Total ausweisen (z.B. "Honorar für Aufwand Fr. 1'000.--, Barauslagen Fr. 30.--, Zwischentotal Fr. 1'030.--, Mehrwertsteuer 7.6% auf Fr. 1'030.- Fr. 78.30, Total Entschädigung Fr. 1'108.30").

2.2.3 Zeitlich

Ändert der aktuelle Satz der Mehrwertsteuer auf anwaltliche Dienstleistungen während einer unentgeltlichen Vertretung oder einer amtlichen Verteidigung und wird die Entschädigung gesamthaft bei Beendigung des amtlichen Mandates abgerechnet, soll gesamthaft der im Zeitpunkt der Abrechnung bzw. Ausrichtung der Entschädigung geltende Satz angewandt werden. Bei einer erheblichen Änderung des Satzes können die Anwältinnen und Anwälte ersucht werden (ggfs. unter der "Androhung" der Anwendung des bisherigen Satzes bis zur Einreichung einer Rechnung), Zwischenrechnungen auf den Zeitpunkt der Änderung einzureichen, wobei der bisherige Satz angewandt wird.

3. Kautionen und Barvorschüsse

Bei der Berechnung und Auferlegung von Kautionen und Barvorschüssen empfiehlt es sich, die Mehrwertsteuer durch eine entsprechende Erhöhung zu berücksichtigen.

4. Schlussbestimmung

Dieses Kreisschreiben ersetzt das Kreisschreiben vom 5. November 1996 über die Mehrwertsteuer und dasjenige vom 10. Oktober 2000 über die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes.

OBERGERICHT DES KANTONS ZÜRICH
Verwaltungskommission Der Generalsekretär:

Dr. P. Zimmermann