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Rezension

CHRISTOPH ZIMMERLI:
Arbeitnehmerschutz bei Umstrukturierungen unter besonderer Berücksichtigung des Fusionsgesetzes. AJP 2005, 771-783

Der Autor setzt seinen Ausführungen eine kurze und prägnante Zusammenfassung der neu im Fusionsgesetz geregelten Transaktionsformen (Fusion, Spaltung, Umwandlung und Vermögensübertragung) voraus, um dann gleich in das eigentliche Thema der Abhandlung, Schutz der Arbeitnehmer bei Umstrukturierungen, einzusteigen. Generell zeichnet sich der Aufsatz durch eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Materialien und der Literatur aus.

Im Zusammenhang mit der Darstellung der Entstehungsgeschichte ist die Feststellung des Autors bemerkenswert, dass im Vorentwurf des Fusionsgesetzes noch keine spezifischen Arbeitnehmerschutznormen enthalten waren und nun im vorliegenden Fusionsgesetz der Arbeitnehmerschutz als Kernanliegen hervorgehoben wird.

Den Einstieg in den besonderen Teil macht der Autor mit dem Betriebsübergang. Aufhorchen lässt in diesem Zusammenhang die Aussage "Zur Beantwortung der Frage, wann ein Betriebsübergang vorliegt, ist auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu berücksichtigen". Eine solche Erweiterung der arbeitsrechtlichen Pflichtlektüre scheint jedoch ohne entsprechende gesetzliche Grundlage sehr zweifelhaft. Auch der an dieser Stelle vom Autor zitierte Bundesgerichtsentscheid (BGE 127 V 183 ff., 187) ist diesbezüglich in der Formulierung zurückhaltender. In der Folge legt der Autor die Besonderheiten, die mit dem Verweis im Fusionsgesetz auf Art. 333 OR bei den einzelnen Transaktionsformen einhergehen, dar. Speziell erwähnt werden auch die Eigenheiten, die hier im Zusammenhang mit dem Recht des Arbeitnehmers, den Übergang des Arbeitsverhältnisses abzulehnen, zu beachten sind.

Ausführlich äussert sich der Autor zur Sicherstellung und persönlichen Haftung bei den einzelnen Transaktionsformen. Das Fusionsgesetz sieht keinen speziellen Kündigungsschutz vor, womit die obligationenrechtlichen Bestimmungen zum Tragen kommen. Die im Fusionsgesetz vorgeschriebene Informations- und Konsultationspflicht des Arbeitgebers ähnelt in weiten Teilen der entsprechenden Pflicht bei Betriebsübergang (Art. 333a OR) und Massenentlassung (Art. 335f OR). Die Sanktion bei Verletzung dieser Bestimmungen des Fusionsgesetzes ist jedoch viel einschneidender: Der Arbeitnehmer hat das Recht, die Untersagung der Eintragung der Umstrukturierung im Handelsregister zu verlangen. Den Ausführungen zur extraterritorialen Wirkung von Arbeitnehmerschutzbestimmungen folgt ein kurzer Abstecher des Autors zu den Bezügen zum EG-Recht. Als Schlussfolgerung hält der Autor schliesslich fest, dass der Gesetzgeber wohl seinem Harmonisierungsbestreben mit dem EG-Recht Ausdruck verliehen habe, es jedoch nicht zu einer im Interesse der Rechtssicherheit wünschenswerten, vollständigen Übereinstimmung bei grenzüberschreitenden Umstrukturierungen gekommen sei, wie das Beispiel des Kündigungsschutzes zeige. Auch eine "europakompatible" Auslegung des Fusionsgesetzes könne aus diesen Harmonisierungsbestrebungen nicht abgeleitet werden.

Dieser Wunsch nach vollständiger Übereinstimmung mit dem europäischen Recht, inklusive europakompatibler Auslegung, ruft beim Schreibenden Erinnerungen an den Zauberlehrling wach, der die Geister rief und diese nicht mehr los wurde. Wenn die Harmonisierung mit dem europäischen Arbeitsrecht tatsächlich die langfristige Stossrichtung des schweizerischen Gesetzgebers ist, muss das schweizerische Arbeitsrecht einer Totalrevision unterzogen und in seinen Grundfesten abgeändert werden. Alleine der Grundansatz, der dem schweizerischen Arbeitsrecht innewohnt, dass es nicht nur die Interessen des Arbeitnehmers, sondern auch diejenigen des Arbeitgebers zu schützen gilt, lässt das schweizerische Arbeitsrecht in der europäischen Rechtslandschaft als völligen Exoten erscheinen. Auch der bis anhin in der Schweiz immer hoch gehaltene Grundsatz der Kündigungsfreiheit weht in Europa als einsames Fähnchen. Vor diesem Hintergrund mutet das Unterfangen eine europäische Richtlinie im schweizerischen Arbeitsrecht zu integrieren, wie die Transplantation eines Organes in einen Körper mit falscher Blutgruppe an. Wohl wurde diese Operation nun schon verschiedene Male durchgeführt und das schweizerische Arbeitsrecht mit dem europäischen Gedankengut durchtränkt, so namentlich im Bereich Betriebsübergang, Massenentlassung, Gleichstellung und Mitwirkung, die Langzeitverträglichkeit dieser Eingriffe ist jedoch nach wie vor weitgehend ungeklärt. Diese Eingriffe können im besten Fall zu einer Erweiterung des Arbeitnehmerschutzes und im schlechtesten Fall zu einem ungewollten Einbruch in die Grundprinzipien des schweizerischen Arbeitsrechts führen. Zu einem solchen Einbruch ist es beispielsweise im Zusammenhang mit den Regelungen zur Massenentlassung gekommen. Hier schreibt Art. 335g Abs. 4 OR vor, dass ein Arbeitsverhältnis frühestens 30 Tage nach Anzeige der beabsichtigten Massenentlassung an das kantonale Arbeitsamt enden darf. Wenn nun ein Arbeitgeber in Unkenntnis der Bestimmungen über die Massenentlassung oder im Glauben an deren Nichtanwendung Kündigungen ausspricht und das Arbeitsamt nicht informiert, bestehen diese Arbeitsverhältnisse - sofern tatsächlich eine Massenentlassung im Sinne von Art. 335d OR vorliegt - einfach weiter. Setzt man dieses Ergebnis dem Umstand gegenüber, dass nach schweizerischem Arbeitsrecht selbst eine ungerechtfertigte fristlose Kündigung zur faktischen und rechtlichen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses führt, setzen hier - zumindest beim Schreibenden - Momente des Nichtverstehens ein. Wenn dann noch zu allem Überflüss Rechtsprechung und Lehre (so auch vom Autor des hier besprochenen Aufsatzes) gefordert wird, bei der Anwendung dieser "Fremdkörper" müsse auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes abgestellt werden, ohne das dafür eine gesetzliche Grundlage im schweizerischen Recht bestehen würde, kann das schweizerische Arbeitsrecht, das sich über all die Jahre auch ohne "europäisches Tuning" sehr gut bewährt hat, feierlich zu Grabe getragen werden.

Die Umsetzung europäischer Richtlinien, auch im Arbeitsrecht, ist aus politischen Gründen wohl nicht zu umgehen und im Grundsatz auch nicht schlecht. Jedoch sollte sie primär durch die schweizerische und lediglich subsidiär durch die europäische Arbeitsrechtsbrille durchgeführt werden, um die Grundsätze des schweizerischen Arbeitsrechts und deren Anwendung nicht zu gefährden.

Ungeachtet dieses Problems hat der Autor eine informative, gut verständliche und sauber recherchierte Übersicht zum Thema Arbeitnehmerschutz bei Umstrukturierungen zu Papier gebracht. Eine Ergänzung sei dem Schreibenden erlaubt: Bei "Elefantenhochzeiten" (Fusion zweier Konzerne) oder bei der Übernahme eines Konzerns durch einen anderen werden die neu geschaffenen Arbeitnehmerschutzmechanismen des Fusionsgesetzes grundsätzlich versagen, weil in diesen Fällen meist Holding-Gesellschaften ohne eigene Mitarbeiter zusammengeführt werden und die Umstrukturierung auf Ebene der Tochtergesellschaften grundsätzlich ohne Berührung mit dem Fusionsgesetz über die Bühne geht.

Dr. Roger Hischier, Zürich